Predigt am 4. Sonntag nach Trinitatis über Joh 8, 3-11
Die Schriftgelehrten und Pharisäer brachten eine Frau zu Jesus, beim Ehebruch ergriffen, und stellten sie in die Mitte und sprachen zu ihm: Meister, diese Frau ist auf frischer Tat beim Ehebruch ergriffen worden. Mose aber hat uns im Gesetz geboten, solche Frauen zu steinigen. Was sagst du? Das sagten sie aber, ihn zu versuchen, damit sie ihn verklagen könnten. Aber Jesus bückte sich und schrieb mit dem Finger auf die Erde. Als sie nun fortfuhren, ihn zu fragen, richtete er sich auf und sprach zu ihnen: Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. Und er bückte sich wieder und schrieb auf die Erde. Als sie aber das hörten, gingen sie weg, einer nach dem andern, die Ältesten zuerst; und Jesus blieb allein mit der Frau, die in der Mitte stand. Jesus aber richtete sich auf und fragte sie: Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt? Sie antwortete: Niemand, Herr. Und Jesus sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.
Liebe Gemeinde!
Hier gibt es eine gute Nachricht - und vielleicht auch eine schlechte.
Welche ist die gute, welche die schlechte? Da droht eine Steinigung. Das
Gesetz des Mose hat ja bestimmt: ÑWenn jemand die Ehe bricht mit der Frau
seines Nächsten, so sollen beide des Todes sterben, Ehebrecherin und
Ehebrecher.ì (3. Mose 20, 10) Und an anderer Stelle: ÑWenn jemand dabei
ergriffen wird, daß er einer Frau beiwohnt, die einen Ehemann hat,
so sollen sie beide sterben, der Mann und die Frau, der er beigewohnt hat;
so sollst du das Böse aus Israel wegtun.ì (5. Mose 22, 22) Hinrichtung,
tödliche Steine.
Der Film ÑDas Leben des Brianì zeigt mit bitter-schwarzem Humor in schrill-überspitzter
Weise eine solche Steinigung zur Zeit Jesu als Spektakel, zu dem die Leute
sich drängen wie zu einer Volksbelustigung, fliegende Händler
eingeschlossen: ÑSteine gefällig?ì Nun plötzlich: Stell dir vor,
da sollen Steine fliegen, aber keiner fängt an. Was hat die ÑSchriftgelehrten
und Pharisäerì, wie das Evangelium nach Johannes die Ankläger
hier nennt, derart entwaffnet? Der bloße Ausspruch Jesu: Wer unter
euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein auf sie. - Wer kann
von sich schon sagen, ohne Sünde zu sein? Sie gehen weg, einer nach
dem andern, die Ältesten zuerst.
Ist das nun schon die gute Nachricht? Und ist das Ganze damit wirklich
schon ausgestanden, das Thema von Gesetz und Strafe? Damals - und heute
erst recht?
Weder - noch, nicht einmal für Jesus selbst. Am Ende dieses biblischen Abschnitts stellt er sich in einem erneuten Streitgespräch nicht nur über Mose, sondern auch über Abraham. Er outet sich als der bevollmächtigte Bote Gottes, seines Vaters, der um dessen wahren Willen weiß und verkündet: Wahrlich, wahrlich, ich sage euch: Wer mein Wort hält, der wird den Tod nicht sehen in Ewigkeit. Die Folge: Da hoben sie Steine auf, um auf ihn zu werfen. Gänzlich hat Jesus seine Gegner also nicht entwaffnet, auch ist das Gesetz des Mose durch seinen Ausspruch noch nicht abgeschafft. Und am Ende wird Jesus ja wirklich hingerichtet, wegen Gotteslästerung angeklagt, gekreuzigt im Namen des Gesetzes.
Wer also hat etwas von Jesu Ausspruch, wenn nicht einmal er selbst? Zunächst nur die überführte Ehebrecherin. Die Frau scheint wirklich noch einmal davongekommen zu sein. Wo sind sie, Frau? Hat dich niemand verdammt? Sie antwortete: Niemand, Herr. - Ist das der auch uns bekannte Grundsatz: Wo kein Kläger, da kein Richter?
Nein, sie steht ja vor ihrem Richter. Es ist Jesus, der das letzte Wort hat. Sein Richterspruch lautet: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr. Was bedeutet das? Jesus begnadigt die Frau. In einem ausgesprochen juristischen Sinn spricht er hier eine Begnadigung aus. Er hebt nicht das Gesetz auf, sondern er erläßt die Strafe. Damit beansprucht er eine Rolle, die nach dem religiös-moralischen Gesetz des Alten Bundes nur Gott zukommt. Gott allein kann die Strafe aufheben, die Menschen für den Bruch seines Gesetzes treffen müßte. Und das ist es, was Jesus hier tut. In der Rolle des göttlichen Herrn über das Gesetz begnadigt er die Frau. Das ist ihre gute Nachricht.
Und das ist sie auch für uns; denn das sagt das Evangelium von Jesus Christus: Auch die Strafe, die uns nach Gottes Gesetz treffen müßte - nicht allein für Ehebruch, auch für Lüge, Mord, Diebstahl, kurz: das Vergöttern so vieler Dinge, die nicht Gott sind - diese Strafe, die Strafe des Todes, ist aufgehoben. Das erst ist die wirklich gute Nachricht - für uns alle.
Und die schlechte? Manche werden sagen: Die schlechte Nachricht ist, daß das Gesetz ja nicht aufgehoben ist, daß es weitergilt. Aber warum? Wenn die Strafe aufgehoben ist, was soll dann noch das Gesetz? Kann ich denn nicht tun, was ich will? Was genau gilt noch? Das haben sich auch Martin Luther und die anderen Reformatoren angesichts unserer Begnadigung durch das Evangelium noch einmal grundsätzlich neu gefragt. Ihre Antwort: Es gelten nicht mehr die detaillierten Strafbestimmungen des jüdischen Gesetzes. Und auch die 10 Gebote haben eine andere Aufgabe erhalten. Sie sind aus der christlichen Erziehung zwar nicht wegzudenken - aber sie sind Leitplanken und Wegweiser, nicht Steine, die uns töten können.
Wer gegen Gottes Gebot verstößt, muß also nicht mehr um sein Leben fürchten, weder handfest durch Steinigung noch in einem religiösen Sinn. Warum? Die Begnadigung der Ehebrecherin zeigt es exemplarisch: Wir leben, weil die Strafe ausbleibt, statt auf dem Fuße zu folgen. Dabei ist die Strafe nicht nur verschoben, sondern wirklich aufgehoben. Jesu Tod im Namen des Gesetzes war der letzte Fall für das Gesetz des Todes. Daran läßt das Evangelium keinen Zweifel. Den Akt der Begnadigung, wie ihn die Frau in der Begegnung mit Jesus erlebt hat, den haben auch wir erlebt - in unserer Taufe.
Wer durch die Taufe zu Jesus gehört, für den hat das Gesetz
seine tödliche Wirkung verloren. Der Kontakt, der hier entstanden
ist, ist stärker als alle menschlichen Versuche, ihn abzubrechen.
Wir halten Gottes Gebote nicht, wir verstehen sie nicht, wir meinen, besseres
verdient zu haben als immer diese Verbote: ÑDu sollst nicht...ì, wir zweifeln
an Gottes Macht und Wirklichkeit, wir verzweifeln an Gott und der Welt
- aber wir sind begnadigt: Wir sind getauft.
ÑAn meinem Glauben kann ich zweifeln, an meiner Taufe nichtì, hat Martin
Luther einmal gesagt und in Anfällen von Verzweiflung mit Kreide dick
vor sich auf den Tisch geschrieben: ÑIch bin getauft!ì Damit konnte er
leben.
Und was schrieb Jesus wohl mit dem Finger auf die Erde, als die ertappte Ehebrecherin vor ihm stand? Der frommen Phantasie hat diese kleine Bemerkung keine Ruhe gelassen. Sie las hier ein Wort des Propheten Jeremia: ÑHeile du mich; Herr, so werde ich heil; hilf du mir, so ist mir geholfenì. Wie kam sie ausgerechnet auf dieses Wort? Zuvor heißt es an dieser Stelle: ÑDie Abtrünnigen müssen auf die Erde geschrieben werden; denn sie verlassen den Herrn, die Quelle des lebendigen Wassers.ì Demnach hätten die ÑSchriftgelehrten und Parisäerì im Staub der Erde vielleicht sogar ihre eigenen Namen gelesen... Wieso mußten sie in den Augen Jesu als von Gott abtrünnig gelten? Sie wollten doch nur seinem Gesetz gehorsam sein... Die Antwort: Sie folgen nicht den neuen Wegen Gottes, die dem Gesetz die tödliche Wirkung nehmen.
Wir aber sprechen das Bekenntnis zum Herrn als der Quelle lebendigen
Wassers und denken dankbar an das Wasser der Taufe. So gesehen, gibt es
für uns heute eigentlich nur eine Nachricht zu hören, und zwar
die gute: die Nachricht von unserer Begnadigung. Die Bibel fächert
sie in eine Fülle von Worten und Vergleichen auf - wie es Eure Taufsprüche
sind:
Bittet, so wird euch gegeben; suchet, so werdet ihr finden; klopfet
an, so wird euch aufgetan.
Die auf den Herrn harren, kriegen neue Kraft, daß sie auffahren
mit Flügeln wie Adler, daß sie laufen und nicht matt werden,
daß sie wandeln und nicht müde werden.
Das sind keine Wünsche wie die heutzutage üblichen - für deren Erfüllung muß man ja meist selber sorgen - sondern Versprechen, Versprechen nach Art der Begnadigung der Ehebrecherin: Jesus sprach: So verdamme ich dich auch nicht; geh hin und sündige hinfort nicht mehr.
Auf den neuen Wegen Gottes sind die tödlichen Steine überflüssig
und können wieder als Straßenpflaster dienen.
Amen.